Jamel – Die Toten Hosen rocken den Förster nach 10 Jahren erneut

Jamel rockt den Förster ist ein besonderes Festival, denn es ist eigentlich gar keins, zumindest nicht im weit verbreiteten Sinn. Die Menschen, die hier hin kommen, ob Künstler/Musiker oder Besucher wollen ein Statement setzen gegen den Rechtsruck im Land. Es soll Symbol sein, das man nicht allein ist und die Welt bunt ist statt braun/blau. Seit einigen Jahren werden die Bands im Vorfeld nicht mehr bekannt gegeben. Hier versammeln sich also nicht Fans von bestimmten Bands, sondern Menschen, die eine politische Meinung vertreten und die ist ganz klar antifaschistisch. Was Horst und Birgit Lohmeyer hier über die Jahre aufgebaut haben und was in ihrem Garten sowie den umliegenden Flächen stattfindet ist ein faszinierender Mikrokosmos für ein Wochenende. Welche Band spielt wird immer erst zum Zeitpunkt des Auftritts bekannt gegeben, durch Bandansagen von bekannten Persönlichkeiten, wie z.B. Jürgen Klopp, Matze Hielscher oder auch Vis-a-Vie. Im Vorfeld laufen bei den Fans sogar teilweise Tippspiele, welche Bands dieses Jahr dabei sein könnten. Böse Überraschungen gibt es hier jedoch keine. Vielmehr rocken alle den Förster und freuen sich über jeden Act der spielt.

Im Eingangsbereich zum Festival fanden sich viele Informationsstände, unter Anderem von den Omas gegen Rechts, Kein Bock auf Nazis, aber auch regionalen Organisationen und solchen aus dem Berufsinformationsbereich, wie die IG Metall, die vor Ort zu Ausbildungen informiert hat. Für Getränke und Verpflegung war vor Ort ebenfalls reichlich gesorgt. Hier fanden sich indisches Essen (das bereits von Anfang an beim Festival dabei sein soll, wie mir von Besuchern gesagt wurde), Pommes (Nice Fries) und allerhand anderes. Auch die regionale Forstwirtschaft war mit einem Grillstand vertreten und bot Bratwurst vom Grill aus der lokalen Jagd an. Es waren jedoch auch sehr viele vegetarische und vegan Optionen vorhanden. So konnte hier jeder etwas zum essen finden. Die Preise für Essen waren im moderaten Bereich (Pommes: 5,50 €, Veganer Döner: 8,- €). Die Getränkepreise bewegten sich ebenfalls im moderaten Bereich (Bierpreis: siehe Festival-BIX). Mineralwasser (0,2 L) konnte man für 1,-€ kaufen. Man hatte generell das Gefühl, das relativ wenig Bier verkauft wurde. Stattdessen wurden mehr Softdrinks nachgefragt und vor allem Kaffee.

Die Toten Hosen kehren nach 10 Jahren wieder zurück

Eine besondere Überraschung war in diesem Jahr, dass Die Toten Hosen nach ihrem Auftritt 2015 nach 10 Jahren wieder nach Jamel zurückkehren. Darüber war im Vorfeld spekuliert worden, da sie in den kommenden Wochen auf Europa-Tournee gehen, aber über mehr als Vermutungen ging dies nie hinaus. Das Geheimnis wurde gut bewahrt und die Band selbst veröffentlichte diese Information erst kurz vor dem eigentlichen Auftritt auf dem eigenen Instagram-Account. Als Jürgen Klopps Bandansage lief war vielen schon klar was gleich kommt, umso größer war der Jubel als tatsächlich die Gruppe um Sänger Campino hinter dem Vorhang stand und mit dem Song Strom ihr Set eröffnete. Direkt danach folgten die Hits Auswärtsspiel und Altes Fieber.

Zwischendurch wurde Campino immer wieder ernst. Die Band freute sich zwar wieder in Jamel zu sein, aber der Anlass ist doch immer wieder ein etwas trauriger. Er lobte insbesondere den Mut von Horst & Birgit Lohmeyer in einer Gemeinde zu leben, in der die meisten Menschen sie hassen, wenn sie sich durch den Ort bewegen, Einkaufen gehen oder zur Bäckerei gehen. Er holte die beiden bei Schrei nach Liebe, das die Band von Die Ärzte coverte, sogar nach vorne und fiel vor Ihnen aus Respekt auf die Knie.

Auch die aktuelle Situation in den USA beziehungsweise der weltweite Rechtsruck waren Thema der Zwischenansprachen, die wie Ansagen auf einer politischen Kundgebung wirkten. Und das war die Veranstaltung in diesem Jahr auch. Aufgrund von verschiedenen Streitigkeiten mit den Behörden entschied sich die Organisation in diesem Jahr erstmals Jamel rockt den Förster als Versammlung anzumelden. Zum US-Präsidenten musste Campino nicht viel sagen. Die Band spielte anschließend als Anspielung auf die Situation in den USA den The Clash-Song I’m so bored in the USA.

Zum Abschluss spielten sie den Klassiker You’ll never walk alone, den die meisten aus Fußballstadien kennen und der gleichzeitig die Hymne des FC Liverpool ist, ein Herzensverein von Sänger Campino. Dabei hielt das ganze Publikum Shirts über dem Kopf und wedelte danach damit über dem Kopf. Das bedeutete aber nicht, das sich die Leute dabei auszogen. Dafür wäre es ohnehin viel zu kalt gewesen. Von sommerlichen Temperaturen konnte leider am Abend keine Rede mehr sein, aber bei der Bewegung, die Die Toten Hosen auslösten, wurde es den meisten ohnehin warm während des Sets.

Die Toten Hosen Setlist Jamel rockt den Förster, Keep calm and carry on - Europe 2025

Galerie – Die Toten Hosen

Ein überraschendes Lineup überzeugt das Publikum

Auch wenn Die Toten Hosen sicherlich der meist gefeierte Act des Abends waren, gab es doch reich Überraschungen und Künstler, die man in dieser Zusammenstellung so sicher nicht wieder zu sehen bekommen wird.

Den Auftakt bei Jamel rockt den Förster gestalteten in diesem Jahr die Omas gegen Rechts. Sie sind eine gemeinnützige Organisation, die überwiegend aus älteren Frauen besteht und die seit 2017 verbreitet auch in Deutschland auf Demonstrationen und Kundgebungen Flagge zeigen gegen den Faschismus. Als Chor setzten sie gleich zu Beginn ein starkes Zeichen gegen Rechts. Zum letzten Song wurden im Publikum Liedzettel verteilt, sodass alle gemeinsam mitsingen konnten. Es war eine Abwandlung des Wellerman-Songs, der Text war umgedichtet auf die Omas gegen Rechts.

Die nächste Band wurde von Matze Hielscher angesagt, der durch seinen Podcast Hotel Matze bekannt ist und erst diese Woche eine Folge mit Birgit Lohmeyer veröffentlicht hat, in der sie mit ihm über die besonderen Herausforderungen für das Festival in diesem Jahr, aber auch die Situation generell und Demokratie im Allgemeinen spricht. Die zweite Band war Shemale Trouble aus Berlin. Die Band steht für rotzigen Punk’n’Roll und versprüht dabei jede Menge Energie, auch wenn sie nicht mehr die jüngsten sind. Schon nach den ersten Akkorden war klar, dass hier niemand stillstehen würde – treibende Riffs, die raue Stimme von Sängerin Carola Hartley und eingängige Hooks machten den Auftritt zu einem echten Highlight. Die Band sorgte mit ihrem Mix aus Punk-Attitüde und Rock’n’Roll-Sound für ausgelassene Stimmung vor der Bühne. Auch wenn sich hier noch nicht viele bewegten. Ein gemeinsames Kopfnicken war doch zu erkennen.

Galerie – Shemale Trouble

Das erste Ausrufezeichen mit Blackout Problems

Markus Kavka hatte die Ehre, die dritte Band des Nachmittags anzusagen. Es handelte sich um niemand geringeren als Blackout Problems. Die Besucher vor Ort hatten dies bereits kurz zuvor vermutet, da die Band einfach durch den Haupteingang auf das Gelände schlenderte und auch auf beim Aufbau schon auf der Bühne zu sehen war. Das ist in jedem Fall eine Seltenheit, da das Organisationsteam die Bands streng geheim hält und auch von den gebuchten Bands nichts über Social Media im Vorfeld verbreitet wird. Blackout Problems sind eine der aktuell spannendsten Alternative-Rock-Bands. Die Band aus München um Sänger Mario Radetzky steht für energiegeladenen Rock. Schon beim ersten Song machten sie klar, warum sie in den letzten Jahren auf so vielen großen Festivalbühnen zu sehen waren. Wie Flummis sprangen sie von einer Seite der Bühne zur anderen und in die Luft. Sänger Mario war bereits beim zweiten Song in der Menge und lief durch das Moshpit und über den gesamten Platz. Der Stagedive-Versuch beim Bad in der Menge ging fast nach hinten los, als die Menge ihn nicht richtig auffangen konnte. Mario hat sich jedoch nicht verletzt und spielte die Show mit derselben Energie wie vorher weiter. Die Mischung aus Energie, Melodie und klarer politischer Haltung passte perfekt nach Jamel. Das Publikum feierte jeden einzelnen Song.

Emotionale Stimmung bei Betterov

Als der nächste Vorhang fiel, war keine große Band zu sehen. Stattdessen nur ein Mensch mit einem E-Piano. Betterov setzte einen starken musikalischen Akzent. Hier standen nicht die lauten Töne im Vordergrund, sondern die starke lyrische Ausdruckskraft bei Songs wie Dussmann, wenn er singt „Gott hat für das alles nur sieben Tage gebraucht und genauso siehts hier auch aus“. Normalerweise als Indie-Rock mit Band arrangiert war es hier nur Betterov alleine, der seine Songs vor den 3500 Besuchenden spielte. Es war kein actiongeladenes Highlight, aber eine wichtige emotionale Botschaft und Teil eines wichtigen kulturellen und politischen Signals gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz, das Jamel rockt den Förster Jahr für Jahr setzt.

Galerie – Betterov

Paula Hartmann kocht die Stimmung mit Beats hoch

Paula Hartmann brachte bei ihrem Set eine ganz eigene Stimmung nach Jamel: Zwischen träumerischem Pop, cineastischen Beats und eindringlichen Texten gelang es ihr, das Publikum in eine fast intime Atmosphäre zu ziehen. Nach einem markanten Intro aus Der Struwwelpeter (Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug) in dem es losgeht mit Paulinchen war allein zuhaus, die Eltern waren beide aus, fiel der Vorgang und es ging direkt mit Beats und der bekannten Stimme von Paula Hartmann los zum Song 7 Mädchen. Ihre markante Stimme, die zwischen sanfter Melancholie und kraftvollem Ausdruck changiert, verlieh Songs wie Kein Happy End und Truman Show Boot eine besondere Intensität. Besonders die jüngeren Fans waren begeistert von Paulas Auftritt, aber auch bei den Besuchenden, die sonst eher im Punkrock zuhause sind, habe ich Zustimmung und Respekt für die Performance auf der Bühne erkennen können. Hartmanns Mischung aus urbaner Coolness und ehrlicher Verletzlichkeit wirkte wie ein Kontrast zu den lauten Gitarren des restlichen Line-ups – und gerade deshalb blieb ihr Auftritt als starker emotionaler Moment im Gedächtnis.

Galerie – Paula Hartmann

Abschluss des ersten Abends mit Iries Revoltes

Irie Révoltés heizten der Menge zum Abschluss des Tages mit einem energiegeladenen Set ein, das Politik, Reggae, Punk und HipHop zu einem mitreißenden Gesamterlebnis verschmolz. Wenn die Band auf die Bühne kommt und die Sänger umherspringen, versprühen sie direkt gute Laune und verursachen den Drang, sich zu bewegen. Sie spielten den letzten Slot um 23 Uhr – und es wirkte fast so, als würde die Energie von der Bühne direkt in die Menge überspringen. Natürlich war das Set vollgepackt mit Hymnen wie Allez!, Il est là, Résistance und Fäuste hoch. Dazu gesellten sich Songs wie Aufstehn und Travailler, die das Publikum lauthals mitsang und mit den Armen in der Luft mitfeierte. Zwischen den Songs richteten die Sänger klare politische Botschaften ans Publikum und erinnerten daran, warum Musik und Haltung bei dieser Band untrennbar zusammengehören. Der Sound der Revolution ist bunt und laut – und genau das passte perfekt zum Motto des Festivals.

Galerie – Irie Révoltés

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